Montag, 31. Oktober 2011

Das Jahrhundert der Hexen

Wenn ich mich recht erinnere, war Das Jahrhundert der Hexen von Marina und Sergej Dyachenko die erste russische Fantasy, die nach dem Erfolg von Wächter der Nacht in deutscher Übersetzung erschien. Zwischen den Wächter-Romanen und Metro 2033 gingen die Dyachenkos allerdings ziemlich unter.

Das Jahrhundert der Hexen spielt in einem namenlos bleibenden Herzogtum, das sich technologisch etwa auf dem Stand der 1990er Jahre befindet. Die Menschen leben dort auf ziemlich angespannte Weise mit verschiedenen übernatürlichen Wesen zusammen. Diese sind zunächst die titelgebenden Hexen, deren Handlungen und Motivationen für die Menschen völlig undurchschaubar und erschreckend sind. Während manche Hexen sich unauffällig und angepasst verhalten, treten andere den Menschen mit Hass und scheinbar wahllos ausbrechender Gewalttätigkeit gegenüber. Gewöhnlich einzelgängerisch und chaotisch, warten die Hexen auf das Erscheinen der Mutterhexe, eine messianische Figur, die ihre ›Kinder‹ zu einer Gemeinschaft zusammenschweißen soll. Zur Überwachung der Hexen hat sich eine übermächtige Inquisitionsbehörde gebildet, die als Staat im Staat weitgehend unabhängig von äußeren politischen Vorgaben agiert, während in ihrem Inneren zahlreiche Intrigen und Fraktionskämpfe ausgetragen werden. Angehende Hexen können sich bei der Inquisition registrieren lassen. Sie verzichten damit auf ihre Initiation (damit ist gewissermaßen die Aktivierung ihrer Hexenkräfte gemeint) und sind vor Verfolgungen sicher. Andererseits werden sie ständig überwacht und kommen auch nicht in den vollen Genuss staatsbürgerlicher Rechte.

Neben den Hexen gibt es die Njauken – Frauen, die von den Toten zurückgekehrt sind und Männer, die sie zu Lebzeiten geliebt haben, ebenfalls in den Tod locken wollen. Die Erzfeinde der Njauken sind die Tschugeister, Dämonen, welche eine Art Polizeitruppe bilden und die Njauken erbarmungslos verfolgen. Anders als mit den Hexen scheint es kein noch so gewaltförmiges und prekäres Auskommen zwischen den Behörden des Herzogtums und den Njauken zu geben: Stoßen die Tschugeister bei einer Razzia oder einer Straßensperre auf eine Njauka, wird sie sofort mittels eines rituellen Tanzes, den allein die Tschugeister beherrschen, vernichtet.

Im Roman finden sich zwei Handlungsebenen. Die Haupthandlung, in der Gegenwart angesiedelt, erzählt von den Bemühungen des Großinquisitors Klawdi Starsh, den wachsenden Gewalttätigkeiten einiger Hexen, die die Ankunft der Mutterhexe vorbereiten wollen, entgegenzutreten. Ihm zur Seite steht die gegen ihren Willen in die Ereignisse verwickelte Ywha, eine junge, nicht-initiierte Hexe, die gleichwohl beharrlich die Registrierung durch die Inquisition verweigert. Klawdi deckt Ywha, weil sie mit dem Sohn seines Jugendfreundes Juljok verlobt ist, zieht sie aber zugleich in seine Ermittlungen gegen die Hexenverschwörung hinein, in der er massiv Folter einsetzt.

Dieser Handlungsstrang ist etwas überfrachtet. Neben der actionreichen Auseinandersetzung zwischen Inquisition und Hexen will er auch noch die Entwicklungsgeschichte Ywhas sein, die mit ihrem Hexenstatus ebenso hadert wie mit dem Inquisitionsapparat. Sie ist beständig hin- und hergerissen, vor sich selbst ebenso auf der Flucht wie vor den Zumutungen der Behörden. Ebenfalls erzählt werden will die Geschichte von Klawdi, dem kaltschnäuzigen alten Großstadtbullen, der im Umgang mit Ywha sich selbst neu kennen lernt. Das alles ist ziemlich viel, weshalb ich beim Lesen gelegentlich den Eindruck hatte, dass die drei Handlungselemente sich gegenseitig im Weg stehen. Sie verlieren zudem stark an einem erzählerischen Manko, welches viele Geschichten heimsucht: Man ahnt zu einem frühen Zeitpunkt der Lektüre, worauf alles hinausläuft und wie das Finale ungefähr aussehen wird.

Eingeflochten zwischen die Haupthandlung findet sich die episodisch erzählte Jugendgeschichte Klawdis, der eine leidenschaftlich-morbide Liebesbeziehung zu einer Njauka führte, bevor er zum zynischen Inquisitor wurde, der nichts und niemanden an sich heranlässt. Die Charaktere treten in diesem Handlungsstrang weitaus plastischer hervor, alles wirkt klarer und fokussierter. Fast empfindet man die Haupthandlung als störende Unterbrechung dieser Geschichte, die schaurig darstellt, wie Klawdi am Verlust seiner Geliebten und seinen Gefühlen scheitert.

Am Ende hat man das Gefühl, man wäre bereits ausreichend bedient worden, wenn Das Jahrhundert der Hexen sich auf eine der beiden Handlungsebenen beschränkt hätte. Stilistisch ist der Roman übrigens sehr eigenständig, weit über dem Gros der Fantasy angesiedelt. Und überfrachtet mag er sein, das Lesen lohnt sich irgendwie trotzdem.

Das Jahrhundert der Hexen von Marina & Sergej Dyachenko (441 Seiten) erschien 2008 bei Piper. Die Übersetzung stammt von Christiane Pöhlmann.

World Fantasy Award für Nnedi Okorafor

Nnedi Okorafor ist für Who Fears Death, ihren ersten Roman für Erwachsene, mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet worden. Wow! Bei der diesjährigen Nominiertenliste in der Kategorie »Bester Roman« hätten aber auch fast alle Nominierten den Preis verdient: Neben Okorafor standen u.a. Lauren Beukes, N.K. Jemisin, Guy Gavriel Kay und Karen Lord auf der Liste. Da konnte schlichtweg nichts schiefgehen! Dass die Wahl auf Okorafor gefallen ist, freut mich trotzdem besonders. Eine höchst verdiente Auszeichnung für eine tolle Autorin.

Freitag, 28. Oktober 2011

Die Vlogs und der Zauberstab

Begonnen hat es mit einem Link im Bibliotheka-Phantastika-Forum. Der führt zu einem Gespräch, das das FAZ-Feuilleton mit Harun Maye führte. Der Medientheoretiker echauffiert sich darin vor allem über Buchbesprechungen in Videoblogs, in denen er die »ästhetische Ideologie oder den Warencharakter der Literatur« gepriesen sieht. Viel mehr als dieses Naserümpfen findet sich in Mayes Auslassungen auf den ersten Blick nicht, wenn man von der unappetitlichen Zurschaustellung von Altmännergeilheit, in die das Gespräch mündet (Frauen im Internet hätten auf Youporn und nicht auf Youtube ihren Ort, so wird angedeutet), einmal absieht.* Da Mayes Attacke überdies auf Genreliteratur und die damit verbundene Praxis der »Rezension von Usern für User« allgemein abzielt, fühlen sich große Teile der SFF-Gemeinde zu recht davon angegriffen. Erwiderungen auf das FAZ-Geschnösel wurden daher von Juliana Socher im Bibliotheka-Phantastika-Blog und von Madame Books formuliert. Diskussionen haben sich vor allem auf dem BP-Blog und auf Google+ entspannt, daneben gibt es leider auch Reaktionen, die sich in Empörung erschöpfen.

Aber was ist jetzt eigentlich noch das Problem, über das diskutiert wird? Vor allem ist es Zurückhaltung gegenüber der Art und Weise, wie auf Vlogs (aber auch in Amazon-Rezensionen etc.) mit Büchern umgegangen wird. Und in der Tat ist Reni, deren mäandernde Auslassungen über Stephenie Meyer und Charlaine Harris auf überraschende Art in den Mittelpunkt dieser Debatte gerutscht sind, ein Paradebeispiel für den Typ Literaturverwertung, in dem Bücher kaum noch von Lippenstiften, Haartönungen und Hello-Kitty-Accessoires zu unterscheiden sind. Für Harun Maye und Oliver Jungen, seinen Stichwortgeber vom Feuilleton, natürlich ein gefundenes Fressen, denn nichts anderes ermöglicht den Gralshütern der Hochkultur schließlich, ihren Zeigefinger zu erheben: Bücher dürfen nicht wie Waren behandelt werden, und wenn die Vloggerinnen es doch tun, so mögen sie den Kulturverlust verantworten, diese sozialdemokratisierten Wohlstandskinder ... Nichts anderes besagt die hochkulturelle Sottise des Herrn Medientheoretikers nämlich, wenn man erst durch die stilsicher platzierten Erwähnungen der Kritischen Theorie und Hans Blumenbergs hindurchsieht.

Unsere Gesellschaft charakterisiert sich dadurch, dass sie Waren produziert. Die Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse fällt daher weitgehend mit dem zusammen, was gemeinhin Kapitalismus genannt wird. Das ist ein Sachverhalt, der von den Tafelsilber-Konservativen des Feuilletons und ihrer Zielgruppe zwar bereitwillig akzeptiert wird, den sie jedoch niemals eingestehen würden – schlicht und einfach deshalb, weil sie in einer ideologischen Sonntagsstube leben, in dem man vom Kapitalismus profitiert, gleichwohl aber die Nase über ihn rümpft. Dazu gehört unweigerlich ein Weltbild, in dem man meint, durch eifriges Zauberstabwedeln die ganze Kulturindustrie, die Frauen- und Geheimbundliteratur und so weiter, einfach austreiben zu können, während das, was in Abgrenzung dazu »Kultur« genannt wird, auf wundersame Weise gerettet wird und bestehen bleibt. Es ist nur verständlich, dass Maye und Jungen verstört sind, wenn Reni in ihrem Vlog erzählt, wie sie sich letztens bei Amazon oder Thalia ein Buch gekauft hat und schon hundert Seiten davon gelesen hat. Sie selbst bekommen Bücher als Rezensionsexemplare vom Verlag geschickt und glauben deshalb, diese seien allein für sie geschrieben und veröffentlicht worden.

Bücher sind Waren. Sie sind es ebenso wie Lippenstifte, Nagellacke und Qualitätszeitungen. Praktisch jedes Buch, dass gelesen wird, ist irgendwann einmal durch Lohnarbeit produziert und als Ware vergesellschaftet worden, um Mehrwert zu erzeugen. Ja, gelegentlich wird mit Büchern sogar Profit erwirtschaftet, was Harun Maye als besonders anrüchig gilt, während der Bestsellerlistenschrott von Joanne K. Rowling, Charlaine Harris und Stephen King subversiven Konsument_innen wie mir oft genug ein perverses Vergnügen bereitet. Wenn Vlog-Rezensionen auch sonst zu nichts gut sein mögen, dann sind sie es wenigstens dazu, dass sie diesen zentralen Sachverhalt klarer hervortreten lassen als irgendeine andere Form der Literaturverwertung. Das macht sie mir allemal sympathischer als die Auslassungen von Zeitgenossen wie Maye und Jungen, die auf ihre Art naiver sind als sämtliche Vloggerinnen dieser Welt.

* Maye ist Jahrgang 1973. Aber Altmännergeilheit scheint, ebenso wie kindliche Freude, ein weitgehend altersunabhängiges Phänomen zu sein.

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Iä!

Über Mark Charan Newtons Blog habe ich soeben diese interessante Seite mit Cthulhu-Illustrationen und -Artwork aufgestöbert. Man beachte die hybride Beeinflussung des Stoffes durch Godzilla- und King-Kong-Traditionen und die unterschiedlichen Versionen, die Cthulhu auf dem Uncle-Sam-Poster zeigen. Am besten gefällt mir persönlich aber dieses Bild von Cyril Van Der Haegen.

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Der letzte Tempelritter

Der letzte Tempelritter ist eigentlich zwei Deutschordensritter. Zumindest sind die beiden Hauptfiguren des Films, der im Original Season of the Witch heißt, Ritter des Deutschen Ordens, und zwar nicht die letzten. Das wäre auch ziemlich komisch, denn der Film spielt in der Mitte des 14. Jahrhunderts, und den Deutschen Orden gibt es bis heute (er hat sogar eine – allerdings wenig spektakuläre – Homepage). Zu Tempelrittern werden die beiden Deutschherren also erst in der deutschen Filmfassung. Da ist wohl jemandem entgangen, dass der Templerorden 1312, einige Jahrzehnte vor der Handlungszeit des Films, aufgelöst wurde. Aber egal, wenn es nur das wäre ...

Ist es aber nicht. Der Film beginnt mit einem Prolog, der etwa hundert Jahre früher spielt. Ein Priester lässt drei mutmaßliche Hexen an einer Brücke aufknüpfen. Hexenverfolgungen dieser Art waren zwar für die frühe Neuzeit und nicht für das Mittelalter typisch, aber egal. Die Henkersknechte lassen die Hexen nach ihrer Hinrichtung ins Wasser fallen. Der Priester bittet sie, die drei Hexen wieder ans Trockene zu holen, da er sie nach der Hinrichtung noch mit irgendwelchem Ritualbrimborium traktieren müsse. Die Henkersknechte machen aber lieber Feierabend, sehr zum Schaden des Priesters, der prompt von den untoten Hexen heimgesucht wird.

Nach diesem Vorspiel werden wir in die Geschichte der beiden Deutschordensritter Behmen (Nicolas Cage) und Felson (Ron Perlman) eingeführt. Sie müssen für ihren Orden zahlreiche Schlachten in Kleinasien schlagen, was ihnen zunehmend auf die Nerven geht. Während des Heiden-Abschlachtens werden sie nämlich ohne Unterlass mit nervigen Durchhaltepredigten ihres Vorgesetzten traktiert, die überdies theologisch höchst bedenklichen Inhalts sind. Die Muslime, die von den Rittern so ausdauernd bekämpft werden müssen, werden darin nämlich als Häretiker bezeichnet. Nach christlich-mittelalterlicher Auffassung wären sie natürlich keine Häretiker, sondern Heiden – aber egal. Nach einer Weile wird Behmen und Felson die ständige Metzelei zuviel und sie desertieren. Der Film scheint sich die Ordensritter des Hochmittelalters wie moderne Soldaten vorstellen, die sich auf eine bestimmte Dienstzeit verpflichten, dafür einen Sold erhalten und strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie versuchen abzuhauen. Aber egal.

Behmen und Felson kehren ins christliche Abendland zurück und landen in der Steiermark. In der entsprechenden Szene wird gezeigt, wie die beiden am Ufer eines Meeres entlangwandern, was ausnahmsweise einmal nicht egal sein muss, denn ich wollte zwar schon die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, fand aber mit Hilfe einiger Klicks durch die entsprechenden Wikipedia-Artikel heraus, dass die Steiermark im Mittelalter tatsächlich noch bis zur Adria reichte. In der Steiermark also wütet die Pest. Behmen und Felson müssen sich als Deserteure bedeckt halten, begeben sich aber trotzdem nach Maribor, um Pferde zu kaufen. Ein Stalljunge erspäht zufällig das Wappen des Deutschen Ordens auf Behmens Schwertknauf und denunziert die beiden flüchtigen Ritter. Woher ein Stalljunge das Wappen des Deutschen Ordens kennen soll, das muss uns wiederum egal sein, wenn wir nicht die Nerven verlieren wollen.

Nun werden die beiden vor den in der Stadt residierenden Kardinal (Christopher Lee) geführt. Maribor war meines Wissens im Mittelalter noch kein Bischofssitz, weshalb ein Kardinal dort eigentlich nichts zu suchen hat, aber ... egal, seine Eminenz will die gefallenen Ritter begnadigen, wenn sie einen gefährlichen Auftrag übernehmen: Sie sollen Eckhart, einen Ritter in den Diensten des Kardinals, und Debelzaq, einen jungen Priester, dabei unterstützen, die Hexe Anna in ein nahegelegenes Kloster zu überführen. Anna hat gestanden, das Ausbrechen der Pest bewirkt zu haben, und soll in dem Kloster exorziert werden, was zugleich der Seuche ein Ende setzen soll. Ebenfalls bei der Mission dabei ist der Reliquienfälscher Hagamar, der als einziger den Weg durch den gefährlichen Wald kennt, den der kleine Trupp nehmen muss. Kurz nach dem Aufbruch schließt sich den sechsen noch Kay an, ein Messdiener des Kardinals und Sohn eines Ritters, der unbedingt selber ein Ritter werden möchte.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte klar sein, der Film ist historisch gesehen von vorne bis hinten totaler Bockmist, aber er ist eigentlich auch kein Historienfilm. Stattdessen haben wir eine kleine Gruppe von Helden und eine gefährliche Queste, die typischen Ingredienzen generischer Fantasy. Und als Fantasyfilm erweist Der letzte Tempelritter sich denn auch. Die Heldengruppe hat ein paar obligatorische Abenteuer zu bestehen, darunter die Überquerung einer morschen Hängebrücke (kann man immer machen, wenn einem nichts besseres einfällt) und ein Angriff monströser Wölfe (LotR lässt grüßen), bevor sie schließlich das Kloster erreicht. Da sind die Helden zahlenmäßig schon ordentlich dezimiert und die Hexe hat bewiesen, wie sehr sie ihnen das Leben schwer machen kann, da sie über gewaltige Körperkräfte verfügt. Im Kloster spielt sich dann das Finale ab, welches noch einmal deutlich fantasylastiger ist als der bisherige Film.

Auch über das bislang Beschriebene hinaus schenkt der Film den Details mittelalterlichen Lebens keine Beachtung. Stattdessen häufen sich die Anachronismen und Absurditäten: Felman z.B. trinkt Schnaps aus einem Flachmann und kann mit seinem Dolch Armbrustbolzen abwehren. Kay kämpft aus irgendwelchen Gründen stets indem er sein Schwert an der Schneide festhält. Die zu Beginn gezeigten Schlachten werden allesamt unberitten geschlagen, obwohl es sich bei den Protagonisten eingestandenermaßen um Ritter handelt – Schlachtszenen lassen sich halt leichter filmen, wenn man einfach einen Haufen kostümierte Fußgänger aus zwei Richtungen aufeinander zurennen lässt. Auch die Pest wird nicht realistisch dargestellt. Die von der Seuche Befallenen sehen wie die pickel- und eiterbeulenübersähten, krummbuckligen Monster in 300 aus (oder auch einfach nur lächerlich, wenn sie zu stark ausgeleuchtet werden). Muss man all diesen Bullshit auch als Fantasy-Bestandteile akzeptieren? Wenn ja, dann ist es schlechte Fantasy.

Was gibt es sonst noch zu sagen? Die Kampfszenen sind mies, die Effekte sehen billig aus, die Ausstattung der DVD ist schlecht (nur deutsche Untertitel, die gelegentlich auch noch falsch übersetzen). Ron Perlman, eigentlich der bessere Schauspieler, kann sich neben Nicolas Cage, der den charismatischen Goodie geben soll, kaum entfalten. Perlman sagte in einem Interview zum Film übrigens tatsächlich folgendes: »Im actually more comfortable being a sidekick, because I dont get blamed if it is a complete disaster.« Was soll ich sagen? Nachdem ich den Film gesehen habe, kann ich dieser Aussage nur achselzuckend zustimmen.

Freitag, 21. Oktober 2011

Boualem Sansal im Interview

Es geht in meinen Romanen immer um Identität und Freiheit. Diese zwei Begriffe sind für mich Synonyme. Aber es gibt häufig den Irrtum, dass sich die Identität im Ursprung finden lässt. Dabei ist gerade das Gegenteil wahr: Identität ist ein Endpunkt. Wenn man auf dem Territorium danach sucht, dann hat das nichts mit Identität zu tun. Die Identität befindet sich in der Zukunft, man geht darauf zu. Die eigene Identität kann man nicht »wiederfinden«, man weiß ja ohnehin, woher man kommt, dazu braucht man höchstens ein paar Dokumente. Nein, was an der Identität beängstigend ist, ist, wohin man geht: Was wird man sein?
Interview mit Boualem Sansal in der letztwöchigen Jungle World (Nr. 41, 13. Oktober 2011).

Dienstag, 11. Oktober 2011

Carl Amerys Werk

Christian Mayer alias Carl Amery (1922–2005) ist vielleicht der bedeutendste deutsche Science-Fiction-Autor, aber Sekundärliteratur zu seinem Leben und Werk ist äußerst dünn gesät. Der von Joseph Kiermeier-Debre herausgegebene Begleitband zu einer Ausstellung über Amery, die 1996 in der Münchner Stadtbibliothek zu sehen war, bildet die Ausnahme, die die Regel – vorläufig? – bestätigt.

Carl Amery – »... ahnen, wie das alles gemeint war« enthält neben bio- und bibliografischen Daten zahlreiche Faksimiles und Fotos, vor allem aus Kindheit und Jugend des Autors. Leider sind diese in dem Band nur in Schwarzweiß reproduziert. Daneben sind verschiedene Texte von und über Amery abgedruckt. Am interessantesten scheinen mir dabei, wie immer, die Kuriositäten zu sein: So etwa eine deutlich von Chesterton beeinflusste historische Kriminalgeschichte, im alten Rom spielend, die Amery als Schüler verfasste – Jahrzehnte später wird Amery, dann schon ein bekannter Essayist und Autor, Chestertons Romane in deutscher Übersetzung herausgeben. Von besonderem Interesse sind auch einige Stücke, die Amery teils noch während des Krieges schrieb und in der unmittelbaren Nachkriegszeit unter dem Namen Christian Schneller* veröffentlichte. Bereits in diesen frühen Schreibübungen blitzen typische Themen und Stilmerkmale auf, die Amerys gesamtes schriftstellerisches Leben begleiten sollten. Insbesondere gilt dies für die erwähnte Histo-Krimi-Erzählung und die dramatische Szene »Die Front von Oklahoma 1944«, die in einem Kriegsgefangenenlager spielt. Beide Stücke widmen sich einer Tätigkeit, die Amery literarisch vorzüglich beherrschte: der Entlarvung der falschen Attitüden und der Scheinheiligkeit, die den Mächtigen in ihrer Selbstgewissheit anhaftet.

Ganz interessant sind auch einige abgedruckte Rezensionen Amerys – zu Enzensberger und Ernst Blochs Prinzip Hoffnung –, daneben findet sich aber auch bereits bekanntes, wie etwa Hans Werner Richters Porträt des Gruppe-47-Genossen aus dem Etablissement der Schmetterlinge und Schlüsselstellen aus Amerys Hauptwerken.

Eingeleitet und abgeschlossen wird der insgesamt sehr lesenswerte Band mit einigen Worten des Herausgebers Kiermeier-Debre, der Amery mit Jean Paul und Achim von Arnim in Verbindung bringt und ihn mithin – keineswegs unpassend – in eine Tradition (nach-)aufgeklärter Romantiker stellt.

Carl Amery – »... ahnen, wie das alles gemeint war«. Ausstellung eines Werkes (238 Seiten) wurde von Joseph Kiermeier-Debre herausgegeben und erschien 1996 bei Paul List.

* Schneller ist der Mädchenname von Amerys Mutter.

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Acacia III: Karte muss sein!

Gestern erschien The Sacred Band, der dritte und abschließende Teil von David Anthony Durhams Acacia. Zum feierlichen Anlass hat Durham die im Band enthaltene Karte auf seine Website gestellt. Mir läuft bei dem Anblick ja das Wasser im Mund zusammen. Fast bereue ich, mich entschieden zu haben, auf die deutsche Übersetzung zu warten.* Die in diesem Herbst mit Boualem Sansal, Walter Moers und Umberto Eco besonders ergiebige Bücherernte ist wohl das einzige, was mich momentan davon abhält, stante pede ein Exemplar von The Sacred Band zu bestellen ...

* Dieser Entschluss sollte eine Belohnung für den deutschen Verlag sein, der sich entschiedenen hat, diese vom Gros der heute erscheinenden epischen Fantasies so verschiedene Trilogie herauszubringen. Was für eine unvorsichtige Selbstverpflichtung ...

Dienstag, 4. Oktober 2011

Der Friedhof in Prag

In wenigen Tagen, am 8. Oktober, erscheint Umberto Ecos neuer Roman Il cimitero di Praga in deutscher Übersetzung, die wie gewohnt von Burkhart Kroeber stammt. Viel Aufsehen hat die Aussicht auf den neuen Eco-Schmöker, der die Entstehung der infamen Protokolle der Weisen von Zion zum Thema hat, in Deutschland nicht erregt. Dabei könnte es nach Erscheinen des Romans ähnlich kontrovers zugehen wie in Italien.

Dort hat der Osservatore Romano, das offizielle Blatt des Vatikan, Il cimitero di Praga gründlich verrissen. Das ist an sich nicht weiter verwunderlich. Eco ist in Italien als scharfer Kritiker der Klüngelei zwischen katholischem Klerus und konservativer Politik bekannt. Anwürfen von kirchlicher Seite ist er seit langem ausgesetzt, wahrscheinlich schon seit er sich als junger Intellektueller, im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin, von der Kirche entfremdete. Ein dogmatischer Religionskritiker mit antiklerikalem Beißreflex ist Eco dennoch nicht geworden, wie sein respektvoller Dialog mit Carlo Maria Martini, dem aufgeschlossenen Kardinal von Mailand, zeigt.* Konservativ-katholische Kreise – auch im deutschen Sprachraum – interessiert das allerdings nicht sonderlich, und so fragt das Magazin Katholisches erwartungsvoll geifernd: »Ist Umberto Ecos neuer Roman ›Der Friedhof von Prag‹ antisemitisch?« Begründet wird die Suggestivfrage vor allem mit der Besprechung im Osservatore Romano, aus der aber ausgerechnet eine Passage zitiert wird, in der die Rezensentin Lucetta Scaraffia sich über die negative Darstellung kirchlicher Würdenträger im Roman entrüstet – womit auch schon klar sein dürfte, wo der Hund begraben liegt. Unter den großen deutschen Tageszeitungen übernahm – wenn ich die Sache richtig überblicke – bislang nur die Welt diese Sicht der Dinge. Und auch das ist wenig überraschend.

In Italien glaubt aber anscheinend niemand, der bei Verstand ist, Eco wolle im Ernst den Antisemitismus relativieren oder ihm sogar Vorschub leisten. Der Autor äußert sich seit langem kritisch zum Antisemitismus (z.B. hier im Magazin Cicero), auch seine Auseinandersetzung mit den Protokollen der Weisen von Zion dauert schon länger an.** Anfang des Jahres weilte Eco als Gast der Jerusalemer Buchmesse in Israel und erteilte zu dieser Gelegenheit Boykottforderungen gegen den jüdischen Staat eine scharfe Absage.***

Einige Besorgnis wurde von jüdischer Seite anlässlich der Veröffentlichung von Il cimitero di Praga dennoch geäußert. Der Oberrabinner von Rom, Riccardo di Segni, fragte sich, ob die ausführliche Darstellung antisemitischer Argumentationsweisen nicht potentiell gefährlich sei, auch wenn die Absicht dabei in der Entlarvung des Antisemitismus liege. Zudem veröffentlichte die jüdische Historikerin Anna Foa in den Pagine Hebraiche eine kritische Rezension, in der sie urteilte, der Roman wirke letztlich eher verwirrend als aufdeckend. Umberto Eco selbst beschreibt die Reaktionen der jüdischen Kritiker_innen in diesem Interview mit der Frankfurter Rundschau.****

Das nun sind im Grunde genau die richtigen Anfragen, die man an einen Roman mit dem erklärten Ziel, die Quellen des modernen Antisemtismus zu entmystifizieren, stellen muss. Bleibt zu hoffen, dass es nicht das Gekollere reaktionärer Kirchenfürsten und klerikaler Publizistik sein wird, welches die Debatte dominieren wird – sollte sich in Deutschland eine solche um den neuen Eco entspannen –, sondern die klugen Fragen.

* Das Gespräch zwischen Eco und Martini ist in dem Band Woran glaubt, wer nicht glaubt? (Zsolnay, Wien 1998) dokumentiert.
** Eco schrieb z.B. ein Vorwort zu Das Komplott von Will Eisner.

*** Westliche Schriftsteller_innen sehen sich immer wieder Druck von antizionistischer Seite ausgesetzt, keine israelischen Literaturpreise zu akzeptieren. In diesem Jahr betraf dies v.a. Ian McEwan, der trotz der Boykottforderungen den renommierten Jerusalem-Preis für Literatur entgegennahm.
**** Nebenbei äußert er darin seine treffende Meinung zum Ratzingerpapst: Dieser Mann ist kein großer Intellektueller, sondern ein grober Vereinfacher.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.