Dienstag, 28. Juni 2011

Es flüstert


Markolf Hoffmann gehört für mich neben Susanne Gerdom, Tobias O. Meißner und Thomas Plischke* zu den interessantesten deutschsprachigen Autor_innen im Bereich epische Fantasy. Nach seinem vierbändigen Zyklus Das Zeitalter der Wandlung (2004–2007 bei Heyne und Piper erschienen) ist Hoffmann – anders als die etwa zeitgleich auftretende Riege der Völkerromanproduzent_innen – ziemlich in der Versenkung verschwunden. Das war schade. Wer den Vierteiler mochte, darf sich jetzt aber auf eine neue Publikation des Berliner Autors freuen: Im Shayol-Verlag ist die Storysammlung Das Flüstern zwischen den Zweigen erschienen (zur Verlagsseite).

* Eine Aufzählung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Sonntag, 19. Juni 2011

Schwedenvampire

Vor einer Weile habe ich John Ajvide Lindqvists So finster die Nacht gelesen und die gleichnamige Verfilmung von Tomas Alfredson geschaut. Meine Meinung: Buch, Film und Soundtrack* ergeben ein veritables Gesamtkunstwerk und sind uneingeschränkt zu empfehlen. Natürlich gilt: Buch zuerst lesen.

Ein paar Punkte, die mir beim Buch-Film-Vergleich aufgefallen sind:
  • Der Score trägt auf äußerst gelungene Weise zur Atmosphäre des Films bei.
  • Die Rolle Elis ist mit Lina Leandersson perfekt besetzt.
  • Im Vergleich zur Romanvorlage kommt im Film vielleicht etwas zu kurz, wie sehr Oskars Leben durch die Gewalt, die seine Mitschüler ihm antun, geprägt ist.
  • Oskar wird im Buch sehr prägnant charakterisiert, indem eingangs dargestellt wird, dass er an einer leichten Inkontinenz leidet, damit aber recht gut klarkommt, weil seine Umgebung diese Einschränkung nicht als Möglichkeit weiterer Demütigung Oskars entdeckt hat. Oskar leidet mithin nicht an sich selbst. Eine ähnlich einprägsame Charakterisierung fehlt im Film leider.
  • Die Storyline um Håkan trägt viel an Morbidität und Spannung zum Roman bei. Im Film ist sie stark in den Hintergrund verlagert worden. Zu recht, denn das Medium verlangt, sich auf die Beziehung zwischen Eli und Oskar (und was sie gefährdet) zu konzentrieren.
  • Das Ende kommt im Buch nicht so dramatisch rüber, wie es der Autor vielleicht gewollt hat. Der Film erzählt die gleichen Ereignisse auf lakonische Weise und erreicht damit ungleich mehr.
Schönes Buch, schöner Film.

* Von Johan Söderqvist, auch auf CD erhältlich. Söderqvist dürfte in Deutschland vor allem für seine Musik zur 2009er Effi-Briest-Verfilmung mit Julia Jentsch in der Hauptrolle bekannt sein.

Dienstag, 14. Juni 2011

»Die Mitte fehlt. Ich fehle.«

Im Focus-Interview erklärt Elke Heidenreich ex cathedra, dass sie es ist, die der deutschen Literatur fehlt, seit ihre Literatursendung Lesen! aus dem ZDF-Programm geflogen ist. Ich finde es nicht weiter verwunderlich, dass Heidenreich dieser Überzeugung ist. Bislang hat schließlich noch kein Papst freiwillig abgedankt.

Aber der Zusammenhang, in dem das Heidenreich-Interview im Focus steht, ist dann doch interessant. Die Illustrierte hat, so lautet wörtlich das Eigenlob, in »einem aufwendig erstellten Ranking« die 50 wichtigsten deutschsprachigen Autor_innen ermittelt. Und was heißt hier wichtig? Die Platzierungen im Ranking wurden nach folgendem Prinzip ermittelt:
  • Buch-Verkaufszahlen flossen zu 25% ein,
  • Berichterstattung in der Publikumspresse ebenfalls zu 25%,
  • TV-Präsenz zu 20%,
  • Literaturpreise zu 15%
  • und Platzierungen in der Fachpresse, auf Empfehlungslisten und im Google-News-Index zu je 5%.
Das alles über einen Zeitraum von fünf Jahren. Autorinnen spekulativer Literatur sind kaum vertreten, typische Genre-Vertreter gar nicht. Medienpräsenz zählt zu 55%. Bequeme Regierungsmehrheit, sozusagen. Aber, so wird im einleitenden Text zum Ranking vermerkt, die reine Verkaufsstatistik wird angeführt von Cornelia Funke, Markus Heitz und dem Krimi-Duo Klüpfel & Kobr. Das offenbart zweierlei: Die »wichtigsten Autoren«, die tonangebende »Riege der deutschsprachigen Prosa-Autoren«, »renommierte Großautoren« (um einen Eindruck von der Focus-Diktion zu vermitteln) werden zu solchen, weil sie von den Medien dazu gemacht werden. Und gelesen werden ganz andere Bücher.

Letzteres gefällt Elke Heidenreich ganz und gar nicht: »Vampire, Trolle, Elfen, Morde. Es ist entsetzlich.« Es gebe in der einen Ecke nur feuilletonistische Hochkultur, in der anderen nur trivialen Schund. Der Literatur fehle die Mitte, und die Mitte ist da, wo Heidenreich ist. Die verkrachte ZDF-Kritikerin scheint die famose Extremismustheorie, derzufolge die Ränder von der Mitte aus mit allen Mitteln zu bekämpfen seien, aus der Politikwissenschaft in die Literatur überführen zu wollen.

Nun gut. Anders als Heidenreich wissen wir, dass es Fantasy jenseits von Markus Heitz gibt, und dass Kreativität und Können nur selten in der Mitte zu finden sind.

Jobst-Ulrich Brand u.a., Unsere Besten, in: Focus, 6. Juni 2011, 68–73.

Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.