Montag, 23. März 2009

Waltz with Bashir

Vor etwa zwei Wochen habe ich mir Ari Folmans Waltz with Bashir angesehen. Warum gerade jetzt, könnte man fragen, wo der Film in Deutschland doch schon seit vergangenem Jahr draußen ist. Ganz einfach: Ich habe ihn mir in meinem bevorzugten Programmkino, dem Traumstern in Lich, angesehen. Man erlaube mir also, im etwas langsameren Rhythmus eines Programmkinos zu ticken.

Waltz with Bashir ist ein animierter Dokumentarfilm über den Libanonkrieg von 1982. Während der Belagerung Beiruts durch israelische Truppen (mit dem Ziel, die PLO aus dem Libanon zu vertreiben), begingen mit Israel verbündetete christliche Falange-Milizionäre Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila. Es handelte sich dabei um eine Racheaktion für die Ermordung des christlichen Milizenführers Bachir Gemayel. Der Film unternimmt nun den Versuch, die Wirkung dieser Ereignisse auf die Psyche der israelischen Soldaten zu erkunden. Der Regisseur Ari Folman, selbst als neunzehnjähriger Soldat an der Belagerung von Beirut beteiligt, interviewte zu diesem Zweck eine Reihe seiner Kriegskameraden, deren Erlebnisse der Film grafisch darstellt, gipfelnd in der klimaktischen Szene, in der ein Israeli einen psychotischen Walzer mit einem Maschinengewehr tanzt – inmitten von feindlichem Feuer, umgeben von gigantischen Porträts Gemayels, während die libanesische Zivilbevölkerung scheinbar unbeteiligt von Balkons und Hausdächern aus zusieht.

Für mich war Waltz with Bashir eines der verstörendsten Filmerlebnisse überhaupt. Ich bin mir selber nicht ganz klar, warum, aber ich habe den Verdacht, dass es hauptsächlich an der Comic-Ästhetik von Folmans Film liegt. Beeinflusst vom Stil Joe Saccos, reizt Waltz with Bashir die Möglichkeiten der Graphic Novel voll aus: in der Darstellung wie in den zahlreichen Anspielungen und Referenzen, etwa auf Apocalypse Now, auf Catch-22 oder typische Porno-Szenen, die zugleich persifliert und in einen tieferen Zusammenhang mit dem dargestellten Kriegsgeschen gestellt werden. So berichtet Folman, dass viele israelische Soldaten während des Libanonkrieges zum ersten Mal Pornofilme gesehen hätten, weil es 1982 noch kein VCR in Israel gab.

Es ist die permanente Unsicherheit, ob Waltz with Bashir eine Graphic Novel im Film ist, die so tut, als ob sie ein Dokumentarfilm wäre, oder vielmehr ein Dokumentarfilm, der sich als Graphic Novel verkleidet, die dem Publikum das wohlige Sicherheitsgefühl verwehrt, in dem man sich wiegt, wenn man einen Spielfilm betrachtet. Dieses Sicherheitsgefühl, das einen Spielfilme (und nicht selten auch Reportagen) als Fiktion erleben lässt, fällt bei Waltz with Bashir völlig weg. Denn Folman unternimmt gar nicht erst den Versuch, durch Hyperrealismus eine vermeintliche Realität vorzugaukeln, die man doch immer fein säuberlich vom eigenen Erleben trennen kann. Nicht anders funktioniert das Gros der Dokumentarfilme, doch in Waltz with Bashir gibt es keinen Realismus, sondern nur albtraumhaftes Erleben, interpretiert und dargebracht durch popkulturelle Referenzen, durch den Schnitt auf die Bildzeugnisse des Massakers – in all ihrer hochgradigen Selektivität – am Ende des Films, und durch Bildmetaphern, die tief ins kulturelle Verdächtnis hineinreichen, und zwar bis ins Herz der Finsternis: Wagen um Wagen voller Menschen, die in eine Richtung fahren – und leere Wagen, die wieder zurückfahren. Dies macht es wahrhaft unmöglich, sich zu distanzieren, denn Folmans Albträume sind auch die unseren, nur dass sie bei Folman einmal im Wachen durchlebt worden sind. Jedoch: Wer meint, dass zwischen dem wachenden und dem träumenden Erleben kein Unterschied ist, hat ziemlich wenig begriffen.

Ich bin mir ganz und gar nicht sicher, ob ich das mag oder auch nur gut finde. Vor allem bezüglich der Anspielungen auf den Nazismus und den Holocaust bin ich das nicht. Gleichzeitig weiß ich, dass Waltz with Bashir in der Wahl seiner Darstellungsmittel nur allzu folgerichtig ist, denn der geeignete Modus zur Abbildung seelischer Traumata ist das Phantastische, von Kafka bis Vonnegut. Dies ist der Grund dafür, warum das 20. Jahrhundert ein Jahrhundert der Phantastik war, und warum das 21. Jahrhundert ein ebensolches sein wird.

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Foto-Disclaimer

Das Foto im Blog-Header wurde freundlicherweise von Sandra Rugina zur Verfügung gestellt. Es zeigt den Bâlea-See in den rumänischen Karpaten. Alle Rechte liegen bei der Autorin.